2018. dec 06.

2018 November: Marlene Fleissig (Germany)

írta: Mr.MehesKaroly
2018 November: Marlene Fleissig (Germany)

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Sonntag in Pécs

Wo bist du hin? Gerade warst du noch neben mir, am Lángosstand und hast versucht, der Verkäuferin zu verstehen zu geben, dass du keinen Knoblauch willst. Aber es gibt sowieso nur mit Letscho. Ich hab mich bloß ganz kurz umgedreht, zum verwaisten Gemüsestand, zwischen all den Kleiderbergen, weg warst du. Ich gehe los, dich suchen, weg vom Langós, dessen Fettfahne in meinem Pullover mitreist.

Du bist nicht in der Bundeswehrecke, wo tarngemusterte Hosen fast so gut weggehen wie Langós. Die Deutsche Bundeswehr kann nur träumen von so viel freiwilligen Uniformträgern. Sie flattern im Wind, Hosen an Bügeln, in jeder Größe. Daneben ein T-Shirt, The Boss steht darauf unter Vladimir Putins Konterfei mit Sonnenbrille. Der Junge, der es gerade inspiziert, wird es ohne Ironie tragen.

Du bist nicht nebenan, wo die Jogginganzüge und Leggings verkauft werden, von zwei speckigen jungen Männern, die ebenfalls graue Jogginghosen tragen, dazu die passenden Jacken, über deren Kragen sich Nackenwülste schieben. Sie riechen nach Schweiß, unnötig, könnten sie doch jederzeit frische Kleidung von den Jogginganzugstapeln nehmen.

Du bist auch nicht am nächsten Leggingsstand. Und auch nicht am nächsten. Da gibt es graue Leggins, bunte Leggings, Nickileggings, Jeansleggings, Neonleggings, gemusterte Leggings, Leggings mit Rentieren drauf, Leggings mit Streifen, Leggings mit Punkten, halblange Leggings, Thermoleggings, figurformende Leggings, Disneyleggings, Latexleggings, Sternechenleggings, Goldmetallicleggings, zerrissene Leggings, fake Adidasleggings, Sportleggings, Schlafleggings. Aber du bist nicht da.

Bist du bei den Werkzeugen? Den kleinen, den Schraubendrehern oder den großen, den Kettensägen und Äxten, so viele Äxte, wer braucht so viele Äxte?

Bist du bei den Schuhen, bei der alten Dame, die gerade versucht, ihren Fuß in eine Gesundheitsschlappe zu manövrieren (vergeblich)? Hinter ihr aufgebahrt sind Crocks, dunkelblau, mit Fellbesatz, ihrer Daseinsberechtigung zuwider. Ich kämpfe mich weiter, durch einen Daunendickicht aus goldfarbenen Jacken und durch Menschentrauben mit echten Trauben in Tüten. Wo haben sie wohl das Obst her.

Bist du bei den unmotiviert verstreuten Säcken voller Süßigkeiten? So bunt sollte nichts sein, was man sich in den Mund steckt. Quietschgrün, Giftgelb, Feuerblau, Himmelrot.

Vielleicht hier? Zwei Gänge weiter diskutiert eine Gruppe Frauen, ob sie einen mannshohen, steinernen Trinkbrunnen erwerben sollen.

Vielleicht hier? Im nächsten Gang wechselt Kinderspielzeug den Besitzer. Bücher warten in Kisten darauf, dass jemand ihren Rücken streichelt. Aber niemand will ein Buch lesen, wenn auf einer Decke alle Nagellacksorten der Welt ausgelegt sind, Omas Porzellantässchen zum Schleuderpreis verscheuert werden oder man für 500 Forint eine Kakaoschnecke plus Kaffee bekommt.

Vielleicht hier? Neben der Go-Kart-Bahn werden echte Autos auf einer großen Parkfläche Probe gefahren. Dazwischen lächerlich kleine Holzhütten, aus denen heraus ernsthafte Geschäfte gemacht werden sollen, Verträge unterzeichnet, Zusatzversicherungen abgeschlossen, oder Kaffee verkauft?

Man hat mir gesagt, man könne alles kaufen, auf dem Flohmarkt in Pécs. Und tatsächlich, in der Haustierecke, wo Hundewelpen herumkullern, Fische die Aquariumscheibe abbusseln und Vögel versuchen, das Stimmgewirr zu überzwitschern, sehe ich dich.

Du stehst auf einer umgedrehten Weinkiste und hast Rentierleggins an, dazu blaue Crocs mit Fellbesatz. Dein Oberkörper ist frei, aber du bedeckst deine Blöße mit einem kleinen Hundewelpen, hältst es wie einen Säugling im Arm und schaust unglücklich in die Menge. Um dich herum stehen Leute, viele Leute, die dich begutachten. Ich rufe deinen Namen, aber du kannst mich nicht hören, zu laut zwitschern die Vögel. Jemand ruft etwas auf Ungarisch, da strecken sich Arme in die Luft, Hände, Finger, mit Geldscheinen darin. „Nein!“, rufe ich, „Nein!“. Aber ein flotter Mitfünfziger hat mit dem größten Schein gewinkt, er kommt auf dich zu und entreißt dir den Welpen. Die Menge bietet jetzt leiser, unmotivierter, nur vereinzelt wird mit Geld gewedelt. „10.000 Forint!“, rufe ich und stoße die Faust mit meinem Schein darin in die Luft. Köpfe drehen sich zu mir, Achselzucken, die Menge zerstreut sich. Ich reiche dir die Hand, um dir von der Weinkiste zu helfen. Du zitterst, es ist frisch ohne Oberteil und Welpe. Aber deine Füße sind sicher schön warm. Wir gehen zurück Richtung Lángosstand, Letscho hin oder her, aber diesmal halte ich dich fest an der Hand.

***

Wie über Pécs schreiben, das sich mit weit geöffneten Armen vor mich stellt, aber vor jeglicher Zärtlichkeit zurückschreckt. Wie schreiben über dieses Fünfkirchen, das doch genauso gut Zweimoscheen oder Einesynagoge oder Einbergmitteninderstadt heißen könnte?

Beim Speeddaten hättest du mich überzeugt. Ich hätte deine Denkmäler gesehen, dein Herbstlaub, das den Hügel in der Stadtmitte auch im November golden zudeckt. Deine Plätze, auf denen sich Touristen in Cafés drängen, Cappuccino trinken und Italien spielen.

Ich hätte von deinen zahlreichen Museen gehört, deinem Konzertsaal, als „Akustische Stradivari“ beschworen, deinem regen Kulturleben. Du hättest unauffällig das Wörtchen „Kulturhauptstadt“ fallen lassen und mich scheinbar zufällig auf den Panoramaweg über der Stadt gezogen. Von dort hätte ich auf dich geblickt, hätte Weite verspürt und die Kirchturmspitzen gezählt, die vorwitzig in den Herbsthimmel lugen, wie ein zu lang geratener Pony.

Wir hätten nur diesen einen Nachmittag, du würdest mich in dieses Café am Bach locken, wo wir einen Milchkaffee mit Salzkaramellhaube trinken. Von der Brücke aus schauen uns dabei bärtige Männer zu, die an ihren Stullen kauen und wie bestellt aussehen, damit ich etwas vom echten Ungarn sehe. Hach, wie authentisch, würde ich hauchen und dich beeindruckt ansehen.

Du wärst ein guter Onenightstand, bringst morgens Kakaoschnecken ans Bett und und in manchen deiner Läden kann man 24 Stunden lang einkaufen, nicht nur Schnaps, aber eben auch Schnaps.

Doch wir kennen uns jetzt schon zu lang. Zu betont hast du versucht, dich vor die Schilder zu stellen, auf denen EU-finanziert steht. Ich kenne jetzt auch deine Gassen, fernab der Prachtstraße, aber nicht fern genug, als dass es eine Entschuldigung wäre. Kaum einen Steinwurf von deinen größten Platz stützen sich sterbende Häuser aufeinander, entblättern sich schamlos vor mir, so dass ich den Blick senken muss.

Ich kenne deine schönen Ecken, weiß, in welchem Café man die beste Morgensonne abbekommt, du weißt dich ins rechte Licht zu rücken. Aber ich habe auch den Mann gesehen, der mit heruntergelassener Hose im Müll wühlt, er war schwerer zu verdecken als die EU-gefördert-Schilder die Orbán Magenschmerzen machen. Und den Panoramaweg bin ich zu Ende gegangen, wo er zu einer normalen Straße wird, nicht frisch und hell gepflastert, sondern aufgeplatzt und rissig, Pécs, du hast Falten. Schminken hilft nicht, die angemalten Teerfetzen, mosaikhaft in einigen deiner Straßen, finde ich nicht mehr charmant, sondern falsch, verzweifelt.

Es hilft auch nicht, in dein viel gelobtes Einkaufszentrum zu fliehen, in dem mich promod und Spar und all die andren Kosmonopolisten hämisch angrinsen. Du willst mir ja nur helfen, nicht so fremd sein, mit all deinen üs mit schrägen Strichen und langen Wörtern, mit denen ich gerne Dinosaurier benennen möchte. Ganz ausgeschlossen ist es natürlich nicht, dass die Schilder Dinosaurier bezeichnen, oder Zauberspüche sind, aber genauso gut kann das „Einritt verboten“, „Polizei“ oder „Zwei zum Preis für einen“ stehen, man weiß es nicht. Nur hier, im Árkad, auf das du so stolz bist, weil es dir einen weltmännischen Anstrich gibt, ist die Wortmagie abgetötet. Mc Donalds ist ein Internationalismus, ebenso wie Nespresso oder %.

Schüchtern bist du auch, zu lang das ungarische Wort für „Ja“. Wer hat die Zeit für „Igen“, zwei Silben braucht es hier, um Ja zu sagen. Nem, das geht gut über die Lippen, ist kurz genug für Faule. Komm, schenk mir reinen Wein ein, reinen Kékoporto aus Südungarn. Habe ich nicht ein Weingut gesehen, bei unserem ersten Mal auf dem Panoramaweg, EU-finanziert?

Oder haben die deutschen Medizinstudenten schon alles weggetrunken, die deine Bars am Laufen halten, weil ihre Noten nicht für ein Studium in Deutschland gereicht haben und die auch nach vier Jahren in Pécs nicht mehr auf Ungarisch sagen können als See ya, was hier hallo bedeutet, du extravagantes Ding. Fernab, auf dieser Pécsinsel, müssen sie sich fühlen, wie auf einem anderen Planeten, nur dass sie die Außerirdischen sind. Auch sie haben sie gesehen, die EU-finanzierten Gebäude, die Orbán ein Dorn im Auge sind, die sich entblätternden Häuser, das verheißungsvolle Árkad. Und doch haben sie dir eine Chance gegeben, lieben dich vielleicht, oder sind bequem? Sie lassen sich von dir Wein einschenken, sei er rein oder nicht. Am nächsten Tag wachen sie mit furchtbarem Kopfweh auf und bereuen. Aber sie kommen nicht von dir los, mein Pécs und umarmen dich, selbst wenn du laut „Nem!“ rufst.

 

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